Erstes Erzählcafé „Frauenleben im Hüllhorst und Kirchlengern der 20er bis 50er Jahre“

 

Erlebnisreicher Start des Projektes im Rathaus

Hüllhorst. Geschichten haben etwas Faszinierendes. Nicht nur für Kinder. Damit die Geschichten der älteren Generation nicht verloren gehen, haben die beiden Gleichstellungsbeauftragten Edith Nedelmann ( Gemeinde Hüllhorst) und Heidi Wagner (Kirchlengern) ein gemeinsames Projekt ins Leben gerufen. „Wir wollen das Leben der Frauen aus den 20er bis 50er Jahren festhalten, dass sie auch für die kommenden Generationen nicht verloren gehen!“, so die Initiatorinnen. Jetzt war es soweit: Im Hüllhorster Rathaus kamen zehn Damen und ein Herr zu einem Erzähl-Café zusammen, um sich auszutauschen.

Schwelgen in Erinnerungen: Hanna Lehmann, Käthe Wilmsmeier, Anni Cranz (Mitte stehend), Ilse Schwarze-Schöneberg, Luise Knicker (sitzend v.l.n.r.). Edith Nedelmann, Heidi Wagner, Gerda Meyer, Günter Hellweg, Helga Greimann, Marlies Pieper, Giesela Wiele, Irmgard Sellenriek

Schwelgen in Erinnerungen: Hanna Lehmann, Käthe Wilmsmeier, Anni Cranz (Mitte stehend), Ilse Schwarze-Schöneberg, Luise Knicker (sitzend v.l.n.r.). Edith Nedelmann, Heidi Wagner, Gerda Meyer, Günter Hellweg, Helga Greimann, Marlies Pieper, Giesela Wiele, Irmgard Sellenriek

 

Schon Reinhard Mey sang in seinem Lied „Beim Blättern in den Bildern meiner Kindheit“, wie wichtig und kostbar es ist, längst vergilbte Bilder der Erinnerung wieder klar werden zu lassen. Und das bewiesen die Hüllhorsterinnen letzten Dienstag im Rathaus mit ihren vielen Geschichten. Die Ältesten unter ihnen waren Gerda Meyer und Luise Knicker (92 Jahre) sowie Käthe Wilmsmeier (91). „Da kam so viel Spannendes zusammen, dass die Zeit gar nicht ausreichte“, beschreibt Edith Nedelmann. So standen Erzählungen aus Kindertagen und der Schulzeit gleich zu Beginn schon im Mittelpunkt: Schulbücher wurden bis zu fünfmal an die Jüngeren immer wieder weitergegeben. So erzählte Gerda Meyer, dass bis 1943 ein regelmäßiger Schulunterricht zwar stattgefunden habe, doch ab 1944 fiel wegen der Bombenangriffe die Schule auch aus. Holz und Kohlen musste gerade im Winter von Zuhause mitgebracht werden. Das sei anstrengend gewesen, denn die Kinder mussten in Holzschuhen auch in den strengen Wintern zu Fuß zu Schule gehen.

Ob 65, 75 oder 92 Jahre – „der Altersunterschied ist groß, wenn es um die in Erinnerung gebliebenen Lebensgeschichten des letzten Jahrhunderts geht“, resümieren die Gleichstellungsbeauftragten, die auch über die Offenheit der Erzählerinnen staunten: So seien schon die Vorkriegsjahre von einer hohen Arbeitslosigkeit der Männer geprägt gewesen; Mütter und jungen Frauen hätten oft für den Familienunterhalt etwas Geld mit dem Zigarrenmachen verdient. Aber die Nachbarschaftshilfe und das Ehrenamt seien in dieser Zeit sehr wichtig, aber auch selbstverständlich gewesen.

Für Staunen sorgte vor allem am Dienstagmorgen auch die Anwesenheit der ersten weiblichen Mitarbeiterin im Hüllhorster Rathaus: Anni Cranz. Aber auch mit Ilse Schwarze-Schöneberg hat Hüllhorst eine Besonderheit: sie war die erste Frau, die einen LKW fahren durfte, der allerdings nur mit  15 km/h gefahren werden durfte. 1930 hatte der Spediteur Schwarze den ersten Lastwagen im Amtsbezirk Hüllhorst. Als älteste Tochter trat das junge Mädchen dann in die Fußstapfen ihres Vaters. „Das war für eine Frau der damaligen Zeit sehr ungewöhnlich und etwas ganz Besonderes“, bestätigen Nedelmann und Wagner, die sich auch mit den Lebensverhältnissen von jungen Frauen des letzten Jahrhunderts intensiv beschäftigen.

So erzählt auch eine Geschichte, die Günter Hellweg aus den erzählungen seiner Mutter, Lina Berkemeyer, niedergeschrieben hat: sie hat im Haushalt der jüdischen Familie Lazarus gearbeitet. Dort sei sie auch sehr gerne gewesen. Und als sie schwer erkrankte, habe sich Familie Lazarus gut gekümmert. Andernfalls hätte sie nicht überlebt. Aber auch Repressalien gab es damals zu überwinden. So heißt es dort von den Erfahrungen beispielsweise: „Gute Eltern schicken ihre Kinder nicht in einen jüdischen Haushalt“.

Günter Hellweg hat die emotionale Geschichte hier zum Nachlesen zur Verfügung gestellt: Lina Berkemeyer bei Jude Lazarus

Während einige Mädchen vor dem Krieg ihr „Pflichtjahr“ bei einem Bauern absolvierten, mussten andere Zigarren drehen. Trotz der vielen Entbehrungen seien sie auch glücklich gewesen: Spaß bei den jährlichen Missionsfesten am 2. Pfingsttag auf dem elterlichen Hof und auf dem jährlichen Zeltfest im Nachtigallental (bei der Husemühle) hatten sie auch, weiß Käthe Wilmsmeier: „Die Leute kamen von weit her – aus Mennighüffen“. Hier hätten sie getanzt und selbst gebrannten Schnaps („Melckbock“) mitgebracht. Mit den jungen Männern hätten sie sich auf Festen, Hochzeiten und dem Blasheimer Markt getroffen, „aber ansonsten durfte man nur spazieren gehen.“

Edith Nedelmann zeigt sich am Ende des Erzählcafés zufrieden: „Wir mussten schon einigen absagen, weil es so viele gab, die etwas erzählen können“, denn beim Erzählcafé sollte jeder in Ruhe zu Wort kommen und genügend Zeit haben, aus der Vergangenheit zu berichten. So wird es auch einen weiteren Termin im April in Zusammenarbeit mit dem Historiker und Leiter des Hüllhorster Heimatmuseums, Eckhard Struckmeier, geben, zu dem Fotos und andere Erinnerungen mitgebracht werden können. Im Herbst wird auch Heidi Wagner in Kirchlengern das Erzählcafé eröffnen.

Weitere Informationen gibt es bei der Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Hüllhorst, Edith Nedelmann: Telefon 05744 – 93 15 17/21.